Unsicherheit über das Bestehen einer
gegenwärtigen Verpflichtung
Der Board setzte seine Überlegungen zur
Unterscheidung zwischen der Unsicherheit über das Bestehen einer
gegenwärtigen Verpflichtung und einer unbedingten Verpflichtung (stand-ready
obligation) fort. Der Sachverhalt, der im März erörtert wurde, betraf
die Frage, ob der Verkauf eines Hamburgers bereits eine gegenwärtige
Verpflichtung darstellt oder ob dies eine Unsicherheit bezüglich der
Existenz einer gegenwärtigen Verpflichtung offenlegt (elementare
Unsicherheit) Die Diskussion wurde auf Grundlage des folgenden
veränderten Szenarios geführt:
Ein Verkäufer bietet Hamburger in einem
Rechtskreis an, in dem die Rechtsprechung festlegt, dass der Verkäufer
jedem Kunden, der einen verdorbenen Hamburger kauft, eine Entschädigung
von 100.000 Pfund Sterling zu zahlen hat. Bis zum 31. Dezember 200X
(Bilanzstichtag) hat der Verkäufer einen Hamburger an einen Kunden
verkauft. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass einer von eine
Million Hamburgern verdorben ist. Keine weiteren Informationen liegen
vor.
Der Stab trug die folgenden Alternativen vor,
die die Meinungen der Boardmitglieder aus der Märzsitzung widerspiegeln:
Sichtweise A
Eine gegenwärtige Verpflichtung entsteht, wenn
der Hamburger verdorben ist und alle verfügbaren Informationen geprüft
werden, um festzustellen, ob eine gegenwärtige Verpflichtung besteht
oder nicht. Auf Basis der oben angegebenen Fakten besteht keine
gegenwärtige Verpflichtung, weil die zur Verfügung stehenden
Informationen (hier die Erfahrung der Vergangenheit) nicht darauf
hinweisen, dass der Verkäufer einen verdorbenen Hamburger verkauft hat.
Sichtweise B
Der Verkauf stellt eine gegenwärtige
Verpflichtung dar, und alle zur Verfügung stehenden Informationen werden
genutzt, um die Unsicherheit in der Bewertung dieser gegenwärtigen
Verpflichtung zu reflektieren.
Der Board blieb fast hälftig geteilt bei den
Sichtweisen. Einige Boardmitglieder,
die Sichtweise B folgten, wiesen auf die Situation der
Versicherungsindustrie hinsichtlich der Ansprüche hin, die erworben aber
nicht geltend gemacht wurden (incurred but not reported, IBNR). Sie
sahen den Sachverhalt als ein Frage von ‟Habe ich einen Anspruch oder
nicht?”.
Ein Führungsmitglied des Stabs brachte die
Frage ins Spiel, welche Bewertungsauswirkungen die verschiedenen
Ansichten haben würden. Er fragte die Boardmitglieder, ob unter
Sichtweise
A eine Schuld von null zu akzeptieren sei,
wenn man zu dem Schluss käme, dass keine gegenwärtige Verpflichtung
existiere, und ob unter
Sichtweise
B je nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit
immer ein Schuld anzusetzen sei (selbst wenn es sich nur um einen sehr
geringen Betrag handele). Der Board erörterte diesen Sachverhalt eine
Weile, kam aber zu keiner Übereinstimmung.
Nach längerer Diskussion schien die allgemeine
Meinung zu sein, dass die Schlüsselfrage sei, ‟festzustellen, ob ein
verdorbener Hamburger verkauft worden sei”. Die Bezeichnung, wie sie
derzeit unter
Sichtweise
A oder unter
Sichtweise
B verwendet werde, sei von geringerer
Bedeutung.
Es wurde keine Einigung erzielt, aber der Stab
wurde gebeten, das Papier im Hinblick auf die erkannte Schlüsselfrage zu
überarbeiten.
Faktische Verpflichtungen
Der Board erörterte erneut die Definition
einer faktischen Verpflichtung, um das Ergebnis der erneuten
Beratschlagungen zur Unterscheidung zwischen einer Schuld und einem
Geschäftsrisiko widerzuspiegeln.
Im März 2007 war der Board vorläufig zu dem
Schluss gekommen, das seine gegenwärtige Verpflichtung besteht, wenn (a)
ein Unternehmen unwiderruflich auf eine bestimmte Art zu handeln
gezwungen ist und (b) ein Dritter hat das einklagbare Recht, das
Unternehmen zu dieser bestimmten Art zu handeln aufzufordern. Der
Standardentwurf zu IAS 37 definiert eine faktische Verpflichtung als
„eine gegenwärtige Verpflichtung, die aus vergangenen Handlungen des
Unternehmens herrührt‟.
Demzufolge ist eine faktische Verpflichtung
nur dann eine gegenwärtige Verpflichtung, wenn ein Dritter das
einklagbare Recht hat, das Unternehmen zu einer bestimmten Art zu
handeln aufzufordern
Der Board diskutierte fünf Möglichkeiten, den
Begriff „einklagbares Recht” in der vorläufigen Beschreibung einer
gegenwärtigen Verpflichtung in der Definition/Beschreibung einer
faktischen Verpflichtung zu fassen.
Möglichkeit 1:
Man beschränkt faktische Verpflichtungen auf
diejenigen, die man vor Gericht einklagen kann.
Möglichkeit 2:
Man verändert die vorläufige Beschreibung
einer gegenwärtigen Verpflichtung in den Paragraphen 13 und 15 des
Standardentwurfs zu IAS 37, um zu erklären, dass ein Dritter ein Recht
haben kann, „das gesetzlich eingeklagt werden kann oder durch
gleichwertige Mittel durchsetzbar ist‟.
Möglichkeit 3:
Man verwendet den bereits in Paragraph 15 des
Standardentwurfs zu IAS 37 enthaltenen erklärenden Text, um als
Erklärung für „durch gleichwertige Mittel durchsetzbar‟ zu fungieren.
Bei dieser Möglichkeit könnten die Paragraphen
13 und 15 des Standardentwurfs zu IAS 37 etwa wie folgt geändert werden:
Paragraph 13
Ein wichtiges Merkmal einer Schuld ist, dass
das Unternehmen eine gegenwärtige Verpflichtung hat, die aus einer
unwiderrufbaren Handlung oder einem unwiderrufbaren Ereignis der
Vergangenheit stammt. Eine gegenwärtige Verpflichtung besteht, wenn
ein Unternehmen unwiderruflich auf eine bestimmte Art zu handeln
gezwungen ist und ein Dritter das einklagbare Recht hat, das Unternehmen
zu dieser bestimmten Art zu handeln aufzufordern. Das Recht des
Dritten kann gesetzlich einklagbar oder durch gleichwertige Mittel
durchsetzbar sein. Damit eine gegenwärtige Verpflichtung aus
einer Handlung oder einem Ereignis entstehen kann, darf das Unternehmen
wenig (wenn überhaupt) Spielraum haben, dem Ausgleichen der Schuld zu
entgehen. Eine Handlung oder ein Ereignis der Vergangenheit, aus
denen eine gegenwärtige Verpflichtung entsteht, werden bisweilen auch
eine verpflichtende Handlung oder ein verpflichtendes Ereignis genannt.
Paragraph 15
Falls keine gesetzliche Einklagbarkeit
vorliegt, muss mit großer Umsicht festgestellt werden, ob ein
Unternehmen eine gegenwärtige Verpflichtung hat. bei der wenig
(wenn überhaupt) Spielraum besteht, dem Ausgleichen der Schuld zu
entgehen. Im Falle einer faktischen Verpflichtung wird dDies
wird nur der Fall sein, wenn:
(a) das Unternehmen Dritten gegenüber deutlich
gemacht hat, dass es besondere Verantwortung übernimmt;
(b) diese Dritten vernünftigerweise erwarten
können, dass das Unternehmen diese Verantwortung wahrnimmt; und
(c) diese Dritten dadurch, dass das
Unternehmen diese Verantwortung wahrnimmt, profitieren oder dadurch
Schaden erleiden, dass das Unternehmen diese Verantwortung nicht
wahrnimmt.
Möglichkeit 4:
Man entwickelt die vorläufige Beschreibung des
Boards einer gegenwärtigen Verpflichtung im Rahmenkonzeptprojekt weiter
und lässt die Beschreibung im IAS 37-Projekt fallen.
Möglichkeit 5:
Man kehrt zu den vorläufigen Schlüssen des
Boards aus der Märzsitzung zurück und versucht, zwischen einer Schuld
und einem Geschäftsrisiko zu unterscheiden ohne auf die Durchsetzbarkeit
Rückgriff zu nehmen.
Einige Boardmitglieder äußerten sich besorgt
darüber, dass die Beschränkung auf gesetzlich einklagbare Rechte zu eng
sei, da es auch „etwas Anderes” gäbe, das zu einer gegenwärtigen
Verpflichtung führen könne. Ein Boardmitglied wies darauf hin, das seine
solche Beschränkung eventuell sogar eine neue Veröffentlichung zur
Kommentierung des Standardentwurfs zu IAS 37 notwendig machen können.
Die Diskussion wendete sich der Frage zu, was
„dieses Andere” sei, das neben der gesetzlichen Einklagbarkeit zu einer
gegenwärtigen Verpflichtung führen könne. Einige Boardmitglieder wiesen
darauf hin, dass wirtschaftliche Zwänge zu einer gegenwärtigen
Verpflichtung führen könnten, insbesondere, wenn die Tatsache, dass man
„nichts tut‟, für das Unternehmen dazu führen könne, dass die Geschäfte
aufgegeben werden müssten. So würde zum Beispiel ein
Versicherungsunternehmen, das die Überschussbeteiligung bei Verträgen
mit Überschussbeteiligung auf das vertraglich festgesetzte Minimum
reduzieren würde, mit Sicherheit aus dem Markt gedrängt. Andere genannte
Beispiele betrafen Pensionen und Jubiläumsgelder.
Es wurden keine Entscheidungen getroffen, aber
der Stab wurde gebeten, diesen Sachverhalt weiter zu erforschen. Dabei
sollten Möglichkeit 1 und Möglichkeit 3 verfolgt werden. Acht bzw. elf
Boardmitglieder waren dafür, diese Ansätze weiter zu verfolgen
(Mehrfachnennungen waren möglich).